Liudmyla Fedchenko
Cherson


Liudmyla Fedchenko war schon immer gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Sie ist 75 und hat in ihrem Leben viele Geschichten gehört. Die Leute vertrauten ihr ihre tiefsten Geheimnisse an, weil sie wussten, dass sie niemandem etwas erzählen würde.
Die Frau wurde in der Region Cherson im Dorf Antonivka geboren. Ihre Kindheit war nicht einfach – ihr Vater verließ die Familie, als sie erst zwei Monate alt war. Sie hatte ihn nie gesehen. Mama hat alle Fotos zerrissen und keine Spur davon hinterlassen, wie er aussah. Doch vor zehn Jahren sah Liudmyla ihren Vater endlich wieder – auf dem Bildschirm des regionalen Fernsehsenders „Skythien“. Jeden Abend wurden in der Sendung „Menschen unseres Landes“ Geburtstagskinder gegrüßt. Eines Abends las der Ansager auch einen Gruß für ihren Vater vor. Fokin Jakiv Hryhorovych – so hieß er. „Ich habe einen gutaussehenden Mann gesehen“, sagt Frau Liudmyla, man sagt, er habe gut Akkordeon gespielt.
Frau Liudmyla wurde von ihrer Großmutter aufgezogen. Mama arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft, sie war die ganze Zeit bei der Arbeit. Und die kleine Liuda war eine „häusliche“ Enkelin, die immer in der Nähe ihrer Großmutter war und ihr half – Kühe hüten, Hühner füttern. Sie liebte es, Geschichtsbücher zu lesen und in die Bibliothek zu gehen. Sie erinnert sich, dass der Fernseher in ihrem Haus auftauchte, als sie 15 war.
Die ist gelernte Köchin widmete sich seit 38 Jahren ihrer Lieblingsarbeit. Danach arbeitete sie in der Baumwollspinnerei in Cherson. Auch nach ihrer Pensionierung arbeitete sie noch in Teilzeit – als Putzfrau, sofern es ihre Gesundheit zuließ.
Als der Krieg in ihrer Heimatstadt ausbrach, verließ Frau Liudmyla diese erst im letzten Moment, in der Hoffnung, dass es gelingen würde, die Invasoren aus Cherson zu vertreiben. Es kam jedoch noch schlimmer. „Es war ein schrecklicher Anblick: Häuser brannten, überall waren Granattrichter. Die ganze Stadt war von Angst erfüllt“, sagt die Frau, „ich wollte nicht sterben.“
Frau Liudmyla fühlt sich in der Notunterkunft sicher. Sie ist froh, dass das Schicksal sie hierhergeführt hat. „Die hier verbrachte Zeit gibt mir Kraft zum Weiterleben. Ich bin die Angst um mein Leben losgeworden, früher wusste man nicht, wann und wohin die nächste Rakete fliegt. Ich bin dankbar ein Dach über dem Kopf zu haben“, sagt die Frau.